„Die beste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit!“

„Die beste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit!“

Vor 23 Jahren, im März 2000, spielten die Schattenlichter „Biedermann und die Brandstifter“. Die damalige Frau Biedermann und drei weitere Schattenlichter sahen sich heute im Schlosspark-Theater das wohl bekannteste Stück von Max Frisch an.

Herr Biedermann – im Schlosspark-Theater von Theaterchef Dieter Hallervorden höchstpersönlich gespielt – schwadroniert endlos über die Gefahren des Feuers und über Brandstifter, doch nimmt er gutmütig und vertrauensselig den Ringer Schmitz (Georgios Tsivanoglou) und seinen zwielichtigen Kumpan Eisenring (Mario Ramos) bei sich auf. Auch als sie den gesamten Dachboden mit Benzinfässern vollstellen, erkennt er die Gefahr nicht, sondern hilft seinen vermeintlichen Freunden sogar beim Vermessen der Zündschnur. Er findet immer neue Ausreden und Rechtfertigungen – und schließlich händigt er den Brandstiftern selbst die Streichhölzer aus.

„Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste ist Sentimentalität. Die beste aber ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand!“, sagt Eisenring – und Biedermann pflichtet ihm auch noch bei, ohne das Gesagte auf sich zu beziehen.

Auch wenn Frisch vor 65 Jahren vermutlich andere Brandstifter vor Augen hatte, lässt sich das Stück heute problemlos auf aktuelle Situationen und Menschen übertragen. Den Schattenlichtern gefielen sowohl die überzeugende Darbietung der Charakterrollen als auch das Bühnenbild, das sogar Schattenspielelemente enthielt. Statt die gesamte Bühne zu nutzen, wurde in die Bühne ein Biedermann-Häuschen gebaut, das das Kleine und Beschränkte des Biedermannschen Geistes auch optisch zum Ausdruck bringt.

Ein extrem kurzweiliger Abend!

Nach rund sechs Wochen voller Brandstifterei läuft das Stück am morgigen Sonntag um 18 Uhr zum letzten Mal.

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„Frauensache“ in der Berliner Erstaufführung

„Frauensache“ in der Berliner Erstaufführung

Die Schattenlichter sind bekennende Lutz-Hübner-Fans, haben bereits zwei Stücke des Erfolgsautors gespielt und unzählige im Theater angesehen.

Bei der Berliner Erstaufführung von Lutz Hübners Stück „Frauensache“ im Kleinen Theater am Südwestkorso durften sie natürlich nicht fehlen.

Wie immer haben sich Lutz Hübner und Co-Autorin Sarah Nemitz ein aktuelles Thema vorgenommen, das kontrovers diskutiert wird.

Anders als sonst – beispielsweise in „Frau Müller muss weg“ oder in „Richtfest“ – gibt es aber nichts zu lachen. Während sonst auch einige komische Wendungen zu verzeichnen sind oder Charaktere trotz ernster Themen auch mal witzige Sachen sagen, lässt das Thema diesmal für heitere Momente keinen Spielraum: Es geht um Schwangerschaftsabbrüche und den erbitterten Kampf der Befürworterinnen und der Gegnerinnen. Dazwischen stehen hilflos die ungewollt Schwangeren und werden zum Spielball der Kämpfenden.

Das Ganze ist in kurzen, knackigen und überzeugenden Szenen Schlag auf Schlag dargestellt – in einem praktischen Bühnenbild, das schnelle Umbauten ermöglicht.

Kein amüsanter Abend, aber ein lohnender! Daher lautet der Tipp der Schattenlichter: Hingehen! Die Gruppe hat das von einem reinen Frauenteam gespielte Stück generations- und geschlechterübergreifend angesehen. Es hat für alle Arten von Zuschauenden viel Mehrwert.

Die nächsten Termine: 21. und 22. Juni 2022

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Von Castorf erschlagen

Von Castorf erschlagen

Heute Abend wollte niemand den Theater-Tipp schreiben: Drei von uns sind nach zweieinhalb Stunden in der Pause gegangen, drei andere haben nach vier Stunden aufgegeben, und nur einer sitzt immer noch in der Vorstellung. Ihr ahnt schon, worum es geht? Genau, die Schattenlichter waren in der auf sechs Stunden angesetzten Aufführung von „Galileo Galilei“ im Berliner Ensemble, die vor ein paar Tagen ihre Premiere hatte.

Was tun, wenn man von Frank Castorf so erschlagen ist, dass man sich zum Tippschreiben nicht mehr in der Lage sieht? Ich bitte die mit mir Geflüchteten, mir je eine Sache zu nennen, die ihnen gefallen hat. Wer keine großen Ziele erreichen kann, setzt sich eben kleine.

Schattenlicht Nr. 1 lobt das auf einer Drehbühne aufgebaute Bühnenbild, das Blicke in Galileis Forscherstätte und in andere Räume erlaubt. Nr. 2 ist speziell von Galileis Fernrohr angetan, das größer ist als in der Sternwarte auf dem Insulaner. Man kann es hoch- und runterkurbeln, und besonders motivierte Wissenschaftler klettern sogar hinein, um den Sternen noch näher zu kommen. Nr. 3 bewundert die Schauspielkünste und das Durchhaltevermögen des Hauptdarstellers: Der 86-jährige Jürgen Holtz lasst uns live am Denkprozess des Galilei teilhaben und steckt mit seiner Begeisterung für Wissenschaft und Wahrheit nicht nur seinen ebenfalls gut gespielten Schüler Andrea an, sondern auch das Publikum.

Nun drei Dinge, die uns nicht so gut gefallen haben:
Nr. 1: Der Einsatz von Live-Filmen im Theater kann belebend sein, hat aber bei dieser Inszenierung ein Ausmaß angenommen, das auf uns maßlos wirkt: Da dauert eine einzige Szene gerne mal 30 Minuten – die ganze Zeit mit schwankendem Bild, monotonen Hintergrundgeräuschen und gruseligen Nahaufnahmen.
Nr. 2: So maßlos wie die Filmszenen ist in dieser Inszenierung so ziemlich alles – es gibt immer wieder originelle Ideen, die fünf Minuten lang toll wären, aber endlos ausgewalzt werden.
Nr. 3: Oft schaut man nur auf eine Wand statt direkt auf die Schauspieler. Auch das wäre als Stilmittel mal ganz nett, aber nichts über 50 Prozent des Stücks.

Vielleicht hat Castorf ja in den letzten beiden Stunden noch das Steuer herumgerissen. Wir werden es uns vom tapfersten Schattenlicht berichten lassen!

www.berliner-ensemble.de

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