Wie war eigentlich das Leben mit der Mauer?

Wie war eigentlich das Leben mit der Mauer?

Damit sich die Jugendlichen von heute vorstellen können, wie sich das Leben im geteilten Berlin anfühlte, gibt es seit März 2018 im Theater Strahl in der „Halle Ostkreuz“ ein entsprechendes Theaterstück: „#BerlinBerlin“. Fünf Schattenlichter machten gestern Abend den Generationentest und stellen begeistert fest: Das ist viel mehr als ein Stück für Jugendliche, hier kommen auch die Zeitzeugen hüben wie drüben voll auf ihre Kosten.

Hüben wie drüben – auch solche Formulierungen hinterfragt das Stück: Wer ist denn eigentlich vor der Mauer, wer ist dahinter? Wer ist durch die Mauer frei – die Nicht-Eingemauerten, weil sie sich frei bewegen können, oder die Eingemauerten, weil sie durch die Mauer geschützt werden? Was macht man eigentlich mit Freiheit?

In „#BerlinBerlin“ geht es um Ingo und seine Familie: Ingo wurde am Tag des Mauerbaus geboren. Sein Vater befindet sich am 13.8.1961 gerade in West-Berlin und beschließt, dort zu bleiben. Bald gründet er dort eine neue Familie, verschweigt seine Ost-Herkunft und fällt nur durch seine starke Ablehnung „dieser scheiß Zone“ auf. Ingo und seine Familie leiden unter dem Verlust. Mehr als 25 Jahre wird es dauern, bis Ingo seine West-Schwester kennenlernt: Während er es in der DDR nicht aushält und einen Ausreiseantrag stellt, missfällt ihr im Westen die Profitorientierung, und sie preist die Vorzüge des Sozialismus.

Die sechs Schauspieler springen in unterschiedliche Rollen und schaffen es in atemberaubenden Tempo, sich von z. B. einer Mutter in ein quengelndes Kleinkind zu verwandeln. Noch beeindruckender wird es, wenn die Darstellerin des Kleinkinds sofort nach Ende der Szene ans Keyboard springt und mit der fetzigen Schauspielerband das nächste in das jeweilige Jahrzehnt passende West- oder Ostlied spielt und den Zeitzeugen im Publikum eine Gänsehaut bereitet.

Ebenso wandlungsfähig wie die Schauspieler ist die Kulisse, die aus einigen Dutzend grauer Mauersteine besteht. Diese können aber nicht nur eine offene oder undurchdringliche Mauer darstellen, sondern auch ein gemütliches Wohnzimmer, eine Mitropa-Gaststätte, Menschen auf „dem“ Bruce-Springsteen-Konzert oder gar Grabsteine auf einem Friedhof. Waaahnsinn!

Nicht zuletzt ist auch die Theaterhalle selbst einen Besuch wert: Ganz bühnenuntypisch gibt es weder einen Vorhang noch eine Bühnenrückwand, sondern die historische Hallenrückwand und ein paar Scheinwerfer reichen aus. Wann und wo wir uns befinden, wird mit klappernder Schreibmaschine jeweils zu Szenenbeginn an einen Wachturm geschrieben bzw. projiziert.

Ein für die Einzelbesucher und Schulklassen gleichermaßen gelungener und erkenntnisreicher Abend – mitreißend, emotional und bei knapp zweieinhalb Stunden Länge erstaunlich kurzweilig! Wer das Stück als Schulklasse besucht, bekommt weitere Einsichten durch das begleitend angebotene Bildungsprogramm der Stiftung Berliner Mauer.

Die Schattenlichter empfehlen: Nach den Ferien allen Bescheid sagen, die man kennt, am besten eine ganze Schulklasse (ab 14) mobilisieren, und ab zum Ostkreuz!

Bis dahin gilt: Schöne Sommerferien!

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Lutz Hübner einmal anders

Lutz Hübner einmal anders

Irgendwie haben die Schattenlichter zurzeit ein Händchen dafür, letzte Vorstellungen zu besuchen, die wir nicht mehr weiterempfehlen können, weil die Derniere gelaufen ist. So auch diesmal! Nichts desto trotz ein paar Worte zu „Der Gast ist Gott“, einer Koproduktion unseres derzeitigen Lieblingsautor Lutz Hübner mit den indischen Autoren Vibhawari Deshpande und Shrirang Godbole: Das Stück lief gestern Abend auf der Zweitbühne des GRIPS Theaters im Podewil in der Klosterstraße.

Bisher haben die Schattenlichter bei den vier Lutz-Hübner-Stücken, die sie in den vergangenen Jahren gemeinsam ansahen, immer Verhaltensmuster und Formulierungen entdeckt, die sie als „Lutz-Hübner-typisch“ bezeichneten – beispielsweise den Ausruf „Aus die Maus!“ oder das Auftreten einer Schlägerei gegen Stückende. Diesmal war alles anders, was dem Thema und dem neuen Autorenteam geschuldet sein dürfte.

Der Einakter – die Stückform und -länge immerhin sind „typisch“ – handelt von dem Jugendlichen Boris, der von seiner alleinerziehenden Mutter zu einem Schüleraustausch nach Indien überredet wird. Als Nachrücker hat er sich mit der Kultur seines Gastgeberlandes kaum auseinandergesetzt und staunt über die für ihn fremden Ansichten, Verhaltensweisen und Lebensverhältnisse. Er versucht, die Regeln zu befolgen, versteht sie aber nicht. Was Shea passiert, bis er sich heimlich mit gepacktem Koffer aus dem Haus zu schleichen versucht, ist äußerst kurzweilig.

Stilistisch neu ist, dass die Schauspieler nicht nur ihre Rollen spielen, sondern auch die Rollen der Schauspieler selbst innehaben, die bestimmte Rollen auf eine bestimmte Art interpretieren und darstellen wollen. Das ist lustig, schafft aber auch eine Distanz zum Stück, weil dadurch natürlich der Handlungsfluss unterbrochen wird. So betrachtet der Zuschauer das Stück von außen, so wie Boris aus einer Distanz das neue Land betrachtet.

Sehr originell ist ein Requisit, das in „Der Gast ist Gott“ für allerlei eingesetzt wird: Konfetti in allen Farben stellen mal Konfetti dar, mal aber auch Kuttelsuppe oder verschmutztes Flusswasser.

Da wir dieses Stück zumindest im GRIPS leider nicht mehr sehen können, empfehlen wir den Kauf von Theaterkarten für „Phantom“, ein Stück von Lutz Hübner und Sarah Nemitz, das erst am 7. Juni Premiere hatte. Die Schattenlichter haben es bereits gelesen und können verraten, dass auch hier die Schauspielerebene vielfach zum Einsatz kommt.

Wieder vom 29.6. bis zum 1.7., vom 4. bis zum 4.9., am 3., 4., 27. und 28.10. sowie am 14. und 15.12.2018.
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Ein gerissener Diener

Ein gerissener Diener

Wer für dünne Münze ins Theater will, hat im Sommer – und dann noch während der Fußball-WM – leichtes Spiel. Beispielsweise lockt das Schlosspark Theater gerade mit einem sogenannten „WM-Rabatt“, bei dem es zwei Karten zum Preis von einer gibt.

Vier Schattenlichter ließen sich davon heute Abend anlocken, überwanden die unangenehme Hürde einer AfD-Demo am Rathaus Steglitz und kamen für sagenhafte 38 Euro (für alle vier zusammen, nicht etwa für jeden!) in den Genuss, Dieter Hallervorden in der Hauptrolle von „Mosca und Volpone“ zu erleben. Nach dem Vorbild der Commedia dell’Arte hat Stefan Zweig dieses Stück 1926 geschrieben, und entsprechend farbenfroh hat es Thomas Schendel inszeniert.

Die Geschichte handelt von dem reichen Venezianer Volpone, der durch seinen Diener Mosca die Nachricht streuen lässt, er läge im Sterben. Umgehend stehen alte Freunde bei ihm Schlange und bringen teure Geschenke, um sich als Alleinerben zu qualifizieren. Die Handlung geht tempo- und ideenreich voran, und in der erst nach 90 Minuten beginnenden Pause wird im Publikum eifrig spekuliert, zu was für einem Ende die Komödie wohl kommen werde. Natürlich kommt es dann völlig anders.

Eine gelungene, stringente Ensembleleistung mit einem beeindruckenden Dieter Hallervorden als Diener Mosca! Wir empfehlen: Fernseher ausschalten, und ab ins Theater!

Noch bis 24.6. zum WM-Tarif oder vom 19. bis zum 24.9.2018 zum Normalpreis. Außerdem gibt es ein Sonderangebot für „Kasimir und Kaukasus“, das den ganzen Sommer über gespielt wird: Im Juli und August haben hier Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren freien Eintritt.

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Unser „Stolz und Vorurteil“ in Rheinbach

Unser „Stolz und Vorurteil“ in Rheinbach

Wer im Juni Zeit für eine kleine Reise hat und die Schattenlichter mag, kann schon einmal „googlemappen“, wo sich Rheinbach befindet. Im dortigen Stadttheater spielt das Städtische Gymnasium Rheinbach das Stück „Stolz und Vorurteil“ nach dem Manuskript von Elke Brumm und Jörg Klein, die das Stück 2012 für die Schattenlichter geschrieben hatten und auch selbst als böse Schwägerin und als Pfarrer/Erzähler auf der Bühne standen. Als Grundlage diente der bekannte Roman von Jane Austen; auch Ideen der beiden bekanntesten Verfilmungen sind in das Theatermanuskript eingeflossen.

Elke Brumm und Jörg Klein erhielten vom Verlag die Aufführungsrechte für ihr Manuskript, so dass Gruppen, die „Stolz und Vorurteil“ aufführen möchten, nur bei den Schattenlichtern die Aufführungsrechte erwerben müssen, nicht noch zusätzlich beim Verlag.

Seit der Uraufführung bei den Schattenlichtern hat eine Handvoll Schüler- und Laientheatergruppen „Stolz und Vorurteil“ in der Schattenlichter-Version aufgeführt.

Wer „Stolz und Vorurteil“ aufführen möchte, findet Informationen unter www.brumm.info.

Die Schattenlichter wünschen dem Städtischen Gymnasium Rheinbach für die Aufführungen am Mittwoch, 27. Juni, und am Donnerstag, 28. Juni, um 19:30 Uhr, toi toi toi!

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Ein Jugendsommer in Potsdam

Ein Jugendsommer in Potsdam

Auf diesen Theaterabend haben sich fünf Schattenlichter seit Monaten gefreut: Endlich hatten wir Karten für „Skizze eines Sommers“ in der Reithalle des Hans-Otto-Theaters bekommen! Länger hätten wir auch nicht mehr warten dürfen, denn heute war bereits die letzte Vorstellung des Stücks.

Mit „Skizze eines Sommers“ zeigt das Potsdamer Theaterhaus wieder einmal, dass es am Puls der Zeit arbeitet und – wie kürzlich mit „Tschick“ – ein Händchen für die Aufführung von Stücken hat, denen moderne Jugendromane zugrunde liegen. In diesem Fall ist dies der gleichnamige Roman von André Kubiczek; das Buch ist erst 2016 erschienen, war aber schon 2017 in Potsdam auf der Bühne.

Der Titel ist Programm: Es geht um einen Sommer, den letzten unbeschwerten im Leben des 16-jährigen René, bevor er – wir befinden uns in der späten DDR – eine Kaderschule besuchen muss. Dieser Sommer ist auch insofern etwas Besonderes, als Renés Vater sieben Wochen auf Dienstreise geht und seinen Sohn mit 1.200 Mark alleine zu Hause lässt. Sturmfreie Bude – und Geld im Portemonnaie!

René und seine Kumpels lassen es sich dementsprechend gutgehen, leeren in den sieben Wochen die Alkoholvorräte von Renés Vater, schlafen gepflegt aus, rauchen, hängen vor der Kaufhalle ab, lesen existentialistische Texte, hören fetzige Musik und gehen tanzen. Nicht zuletzt macht René so viele Erfahrungen mit gleichaltrigen Mädchen, dass er am Schluss gar nicht mehr weiß, in welche Disco, in welches Café und in welchen Park er mit seiner Neuen gehen so, weil quasi alle Orte schon erinnerungsverseucht sind.

Das alles ist so schön geschrieben, dass die Leichtigkeit dieses Sommers auf jeder Buchseite zu spüren ist. Erfreulicherweise hält sich das Theaterstück nahe am Buch und wählt mit gutem Geschick die relevanten Szenen aus. Mit acht Schauspielern, die sich auf der Bühne bemerkenswert verausgaben und unglaublich viel jugendliche Energie versprühen, ist Renés gesamtes Umfeld perfekt dargestellt. Dass man sich das Ganze im Sommer und in Potsdam ansieht, ist so genial, dass es kaum zu glauben ist.

Ein Theaterstück, dessen Derniere man gerade gesehen hat, lässt sich leider schwerlich als Theater-Tipp empfehlen. Also sagen wir: Einfach mal wieder ins Hans-Otto-Theater gehen – man kann da eigentlich nichts falsch machen! Und – unbedingt in diesem Sommer – „Skizze eines Sommers“ lesen, vielleicht sogar auf einer Bank in Potsdam! Viel Spaß!

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Eine Zeitreise ins West-Berlin der 70er

Eine Zeitreise ins West-Berlin der 70er

Gestern begaben sich vier Schattenlichter auf eine Zeitreise in die 1970er-Jahre in West-Berlin: Das Potsdamer Hans-Otto-Theater zeigte mit seinem Schauspielmusical „Rio Reiser — König von Deutschland“ das Entstehen der Rockband „Ton Steine Scherben“. Dabei gab es nicht nur einen interessanten Einblick in die Zeit der Jugendrebellion und Studentenunruhen gegen Staat, autoritäre Strukturen, alte Nazis und Krieg, sondern auch einige Informationen über die Band und ihren Frontman, die zumindest uns noch neu waren.

Wusstet Ihr etwa, dass sich die Band aus dem trubeligen, politischen West-Berlin auf einen Bauernhof in Nordfriesland zurückzog, um dort besser gemeinsam musizieren zu können, sich aber schließlich desillusioniert und hochverschuldet auflöste? Oder dass Marianne Rosenberg und Rio Reiser befreundet waren und die Presse eine Liaison witterte, da nicht jeder mitbekommen hatte, dass Rio Reiser homosexuell war? Dass die großen Erfolge wie „König von Deutschland“ und „Alles Lüge“ erst in Rio Reisers Solokarriere entstanden? Und dass Rio Reiser nach der Wende die PDS unterstützte, was vielen Fans und Radiosendern missfiel?

Das Musical im Hans-Otto-Theater entwickelte sich im Laufe des dreistündigen Abends immer mehr von einem Bühnenstück zu einem mitreißenden Rockkonzert, da die Musiker und Sänger alles gaben und ein Hit auf den nächsten folgte. Sehr bemerkenswert war die Leistung des Reiser-Darstellers Moritz von Treuenfels, der schauspielerisch und singend gleichermaßen überzeugte. Als Fans der „Tschick“-Inszenierung freuten sich die Schattenlichter auch, den Tschick-Darsteller Eddie Irle nun als Fahrer von Rio Reiser und in diversen anderen Rollen wiederzusehen.
Am besten gefielen den Schattenlichtern die unterschiedlichsten Kostüme und Perücken, von denen das Hans-Otto-Theater einen unendlichen Fundus haben muss. Wahrscheinlich hat man in Potsdam einfach mehr Lagerfläche als in Berlin …

Unser Tipp: Unbedingt versuchen, Restkarten zu bekommen – für die letzten Vorführungen am 22. Mai und am 27., 28. und 29. Juni 2018. Oder, wenn’s nicht klappt, einfach mal wieder ins Hans-Otto-Theater gehen und gucken, wo Moritz von Treuenfels mitwirkt. Beispielsweise gibt es einen Auftritt „Rio Reiser unplugged“ am Samstag, 30. Juni, um 21 Uhr im Rahmen des Festivals „Stadt für eine Nacht“ im Neuen Theater/Glasfoyer – mit Rio Reiser und einem Musiker.

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König von Deutschland

König von Deutschland

Gestern begaben sich vier Schattenlichter auf eine Zeitreise in die 1970er-Jahre in West-Berlin: Das Potsdamer Hans-Otto-Theater zeigte mit seinem Schauspielmusical „Rio Reiser – König von Deutschland“ das Entstehen der Rockband „Ton Steine Scherben“. Dabei gab es nicht nur einen interessanten Einblick in die Zeit der Jugendrebellion und Studentenunruhen gegen Staat, autoritäre Strukturen, alte Nazis und Krieg, sondern auch einige Informationen über die Band und ihren Frontman, die zumindest uns noch neu waren.

Wusstet Ihr etwa, dass sich die Band aus dem trubeligen, politischen West-Berlin auf einen Bauernhof in Nordfriesland zurückzog, um dort besser gemeinsam musizieren zu können, sich aber schließlich desillusioniert und hochverschuldet auflöste? Oder dass Marianne Rosenberg und Rio Reiser befreundet waren und die Presse eine Liaison witterte, da nicht jeder mitbekommen hatte, dass Rio Reiser homosexuell war? Dass die großen Erfolge wie „König von Deutschland“ und „Alles Lüge“ erst in Rio Reisers Solokarriere entstanden? Und dass Rio Reiser nach der Wende die PDS unterstützte, was vielen Fans und Radiosendern missfiel?

Das Musical im Hans-Otto-Theater entwickelte sich im Laufe des dreistündigen Abends immer mehr von einem Bühnenstück zu einem mitreißenden Rockkonzert, da die Musiker und Sänger alles gaben und ein Hit auf den nächsten folgte. Sehr bemerkenswert war die Leistung des Reiser-Darstellers Moritz von Treuenfels, der schauspielerisch und singend gleichermaßen überzeugte. Als Fans der „Tschick“-Inszenierung freuten sich die Schattenlichter auch, den Tschick-Darsteller Eddie Irle nun als Fahrer von Rio Reiser und in diversen anderen Rollen wiederzusehen.
Am besten gefielen den Schattenlichtern die unterschiedlichsten Kostüme und Perücken, von denen das Hans-Otto-Theater einen unendlichen Fundus haben muss. Wahrscheinlich hat man in Potsdam einfach mehr Lagerfläche als in Berlin …

Unser Tipp: Unbedingt versuchen, Restkarten zu bekommen – für die letzten Vorführungen am 22. Mai und am 27., 28. und 29. Juni. Oder, wenn’s nicht klappt, einfach mal wieder ins Hans-Otto-Text Theater gehen und gucken, wo Moritz von Treuenfels mitwirkt.

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Kishon-Szenen – das wollten wir auch schon mal

Kishon-Szenen – das wollten wir auch schon mal

Vor ein, zwei Jahren diskutierten die Schattenlichter darüber, Szenen des israelischen Satirikers Ephraim Kishon auf die Bühne zu bringen, verwarfen die Idee dann aber zugunsten von „Boeing Boeing“. Dafür sahen sich gestern fünf Schattenlichter an, wie andere mit Kishon auf der Bühne umgehen. Das Fazit: Begeisterung!

Als „szenische Lesung“ beschreibt das Deutsch-Jüdische Theater sein Stück „Kishon: Die beste Ehefrau von allen und ICH“, und das trifft es sehr gut. Rund ein Dutzend Szenen werden im Lauf des zweistündigen Theaterabends präsentiert. Was Kishon aus der Perspektive des Ich-Erzählers geschrieben hatte, ist auf der Bühne geschickt auf einen Schauspieler (Joachim Kelsch) und eine Schauspielerin (Alexandra Julius Frölich) verteilt. Meist spricht die Frau den Text von Kishons Frau, während der Mann den Text von Kishon selbst präsentiert. Zu den Stärken der Inszenierung gehört, dass dieses Muster oft genug durchbrochen wird, um kurzweilig und überraschend zu bleiben; so werden auch die eigenen Kinder, unliebsame Nachbarn und anstrengende Freunde dargestellt. Vieles erfolgt als Lesung, manches auch als Schauspiel, das mit wenigen Requisiten auskommt.

Kishons Frau gewinnt durch diese Darstellung noch mehr an Format, als sie schon beim Lesen der Originaltexte hat. Man freut sich als Zuschauer, die „beste aller Ehefrauen“ endlich leibhaftig vor Augen zu haben, und mit der ausdrucksstarken, immer präsenten Alexandra Julius Frölich ist die Rolle hervorragend besetzt. Kishon hätte seine Freude an dieser Darstellung, ist aber leider im Jahr 2005 verstorben.

Wie sich die Freundschaft zu den Spiegels gestaltet, wie sich die Ehefrau nach einem Kinobesuch selbst finden will und mit einer Krokodillederhandtasche geerdet werden muss, wie die Kishons bei einer Abendeinladung ausgehungert über ein Büffet herfallen oder wie Kishons Kind mit einem Gruselmärchen zum Einschlafen gebracht werden soll — das alles trägt die unverkennbare Handschrift des größten Satirikers des 20. Jahrhunderts und ist anregend und sympathisch dargestellt.

Den Schattenlichtern ist das Deutsch-Jüdische Theater erst seit ein paar Monaten ein Begriff, obwohl es schon 2001 gegründet wurde. Unter seinem langjährigen Intendanten Dan Lahav war es das einzige jüdische Repertoiretheater in Deutschland; es hatte einen Fünf- bis Sechs-Tage-Spielbetrieb und ein festes Ensemble. Nach dem plötzlichen Tod von Dan Lahav stand das Theater vor dem Aus, wurde aber glücklicherweise von einem kleinen, engagierten Team weitergeführt. Als neue Spielstätte konnte das Theater Coupé gewonnen werden — ein gemütlicher Raum mit schätzungsweise 80 Sitzplätzen und einem Café, in dem es sich gemütlich die Pause verbringen lässt. Das Coupé ist verkehrsgünstig am Fehrbelliner Platz gelegen; es befindet sich am Hohenzollerndamm 177 im Gebäude des Bürgeramtes.

Auf dem Spielplan des Deutsch-Jüdischen Theaters stehen pro Monat rund zehn Aufführungen verschiedenster Stücke, oft auch mit Musik (z. B. ein Stück über die Barry Sisters und ein anderes über Friedrich Hollaender, der u. a. die tollen Ohrwürmer für Malene Dietrich schuf).

Bis zum Ende der Theatersaison am 17. Juni 2018 ist noch jede Menge Zeit, um sich jüdische Kultur auf angenehme, unaufdringliche Art näherzubringen: Kishon wird wieder am Freitag, 8. Juni, und am Samstag, 16. Juni, gezeigt, außerdem weist der anspruchsvolle Spielplan bis zur Sommerpause noch weitere sechs Inszenierungen auf, zu finden unter www.djthe.de. Das Theater bekommt derzeit keine Unterstützung des Senats. Karten gibt es unter karten@djthe.de und 0176 72261305.

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Tragischer Abgesang im Theater am Kurfürstendamm

Tragischer Abgesang im Theater am Kurfürstendamm

1902 schrieb der britische Dramatiker John Osborne das Theaterstück „Der Entertainer“: Hauptperson Archie Rice ist der klassische Dauerverlierer, dessen Theater geschlossen wurde und dessen Privatleben ebenfalls den Bach runtergegangen ist.

Regisseur Fabian Gerhardt hat dieses Stück an das Theater am Kurfürstendamm angepasst, das — wie bekannt ist — ja leider in Kürze schließen muss und abgerissen wird. Peter Lohmeyer spielt Archie Rice fast als Alleindarsteller, der als letzter tragischer Rebell auf seiner Bühne kampiert, sich mit dem Publikum unterhält und dabei einige Flaschen Alkohol leert. Er gibt den resignierenden Loser sehr eindrucksvoll, und auch das Näherrücken der Bagger ist omnipräsent. Besonders eindrucksvoll ist ein zehnminütiger Monolog, mit dem Archie — oder Lohmeyer, wer weiß das schon — die Zeit bis zur von der Regie angeordneten Pause totzuschlagen versucht.

Nach der Pause kommen neue Personen ins Spiel, die allerdings erst einmal nur in Archies Erinnerung existieren. Daher treten sie nicht in persona auf, sondern — wie das Theater am Kurfürstendamm es nennt — als Hologramme; dem Laien würde auch die Bezeichnung „Projektion“ genügen. Wie Lohmeyer mit den Personen auf der unsichtbaren Leinwand interagiert, ist originell, optisch interessant und zeitlich perfekt abgestimmt.

Die einzige von den Hologrammen noch real existierende Person, Archies Tochter, tritt konsequenterweise auch noch als leibhaftige Schauspielerin auf die Bühne. Manch einer hätte sich das sicherlich auch für das Hologramm Harald Juhnke gewünscht, wird aber naturgemäß enttäuscht und muss sich damit zufriedengeben, Juhnke — im Vergleich mit Archie — als einen wahren Entertainer präsentiert zu bekommen.

Wir Schattenlichter hatten uns angesichts des Themas darauf eingestellt, als gebürtige Westberliner die eine oder andere Träne des Abschiedsschmerzes oder der Wut zu vergießen. Aber obwohl Lohmeyer auf die Tradition des Hauses und die namhaften Gründer zu sprechen kommt, obwohl der große Harald Juhnke wiederbelebt wird und obwohl der Abriss nahe ist — Wehmut wollte sich nicht so recht einstellen. Vermutlich eignete sich der ständig unter der Gürtellinie kalauernde, ausländerfeindliche Parolen ausstoßende, sexistische und selbstgerechte Archie zu wenig zur Identifikationsfigur. Schade eigentlich!

Lohmeyers schauspielerische Leistung wurde vom Publikum fleißig beklatscht, und auf dem Kudamm empfing ihn am lauen Frühlingsabend ein Freundeskreis mit wohlverdienten stehenden Ovationen. Von daher — und für alle Lohmeyer-Fans sowieso — empfehlen die fünf von der Inszenierung ein wenig erschlagenen Schattenlichter: Hingehen, aber kein typisches Theater-am-Kudamm-Stück erwarten! Und die Taschentücher könnt Ihr getrost zu Hause lassen!

Diese letzte Premiere an der traditionsreichen Spielstätte wiederholt sich noch einmal am Samstag, 5. Mai 2018. Es gibt noch Karten!

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Kleinbürgerliches im Schlossparktheater

Kleinbürgerliches im Schlossparktheater

Während die Schattenlichter nach dem Theaterbesuch nach Hause gehen, fängt der Abend für den Bühnenbildner vermutlich erst richtig an: In Brechts „Kleinbürgerhochzeit“ im Schlossparktheater liegt am Stückende so ziemlich alles in Schutt und Asche — von den Möbeln über die Wände bis hin zum Fußboden der Kleinbürgerwohnung. Da wird das Aufräumen und Wiederherstellen der Bühne eine Weile dauern.

Dabei hätte es der schönste Tag im Leben von Braut und Bräutigam werden sollen … Aber dieses Ziel wurde eindeutig verfehlt: Nicht nur langweilte der Brautvater die Gäste mit unpassenden und endlosen Geschichten, berechnete die Mutter und Köchin die Schlagsahne zum Pudding zu knapp, stritten sich die Gäste, deckten das Geheimnis der Braut auf, sangen zotige Lieder und verließen zum heimlichen Vögeln die Party; auch sind sich am Ende die Brautleute nicht mehr grün. Wenn die Gäste da sind, ist es nicht schön, aber wenn sie gehen, ist der dann beginnende Alltag womöglich noch schlimmer.

Das Stück, ein früher Einakter von Bertolt Brecht, ist 99 Jahre alt. Es hielt damals wie heute dem Bürgertum den Zerrspiegel vor, prangerte Geiz und Doppelmoral an und zeigte ausschließlich unsympathische Charaktere. Sinnbildlich für das Kleinbürgerliche ist das Bühnenbild: ein irrsinnig enger, morscher Kasten, in dem sich die Gäste aneinander vorbeiquetschen müssen, kein Platz zur Entfaltung ist und es so eng ist, dass die Mutter mit dem Essenstablett fast die Gäste erschlägt und die Festredner kaum Platz haben, sich für ihre ohnehin sinnlosen Reden zu erheben. Ebenso sinnbildich sind die Möbel des Brautpaares, die der Bräutigam selbst erschaffen hat: Anfangs sind sie der Stolz von Braut und Bräutigam, doch dann stellt sich heraus, dass am Leim gespart wurde und alles nach und nach zusammenbricht. Dem Kleinbürgertum fehlt das Fundament, der Ehe fehlt die Grundlage.

Dieselbe Inszenierung stand ganze 17 Jahre lang — zuletzt sogar mit demselben Schauspielerteam — auf dem Spielplan der Brecht-Heimatbühne, des Berliner Ensembles. Dort strich es der neue Intendant Oliver Reese vom Spielplan, und nun nahm es Dieter Hallervorden ins Programm seines Steglitzer Hauses auf. Heute war es ausverkauft, und das Publikum wirkte ausnahmslos zufrieden und erheitert. Für die morgige Vorstellung (Sonntag, 15.4.2018, 18 Uhr) gibt es noch Karten. Wir können versichern: Auch in der letzten Reihe sitzt man bequem und kann alles gut sehen und hören.

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